Der Elefant wird auf den Traktoranhänger gewuchtet, er schwankt gefährlich, droht den Männern zu entgleiten. Er kippt langsam zur Seite, mit aller Kraft stemmen seine Träger ihre starken Arme noch ein letztes Mal gegen den Korpus des Rüsseltieres und…. geschafft!
Dass sie ihren Ganesha-Gott wenige Stunden später auch wieder herunter hieven müssen, daran denkt jetzt noch keiner. Jetzt ist es Zeit die Musik aufzudrehen, dem Alkohol zu frönen und zu tanzen! Mir wird grüne und pinke Farbe ins Gesicht gedrückt, während alle Hüfte schwingend und Hände in die Luft werfend, vor dem Partywagen herlaufen. Aus den Lautsprechern wummert die Technomusik. Scheinwerfer zerschneiden das Dunkel der anbrechenden Nacht.
Es ist die letzte Nacht der Geburtstagsfeier Ganeshas, der die Tage zuvor im Dorf unter einem Baldachin seine Glückwünsche und Gaben in Empfang nahm. Auch ich habe ihm meine Aufwartung gemacht, ihn mit Reis beworfen und im Gegenzug seine Segnung durch das Aufmalen eines roten Tikkas zwischen meinen Augen bekommen. Jedes Jahr wird in der Zeit zwischen August und September der Geburtstag Ganeshas gefeiert.
Die Feierlichkeiten beginnen mit der Puja (Zeremonie) und enden mit dem Zuwasserlassen der aus Lehm geformten Figur als Höhepunkt des ganzen Fests.
Zwischen riesigen Musikboxen sitzend, geschmückt mit Blumen, umringt von Palmblättern, fährt Ganesha dem Wasser entgegen. Das kann jedoch noch einige Zeit dauern, denn der Traktor lässt sich Zeit, denn umso länger der Wagen braucht, desto länger dauert das Spektakel. Der Party-Gott thront über der wild tanzenden Partymasse, gönnend auf sie runter lächelnd, als wolle er sagen „feiert mich, feiert das Leben, lasst es so richtig krachen!“ und abgesehen von den Frauen, die am Rande das Treiben beobachten, nehmen sich dieses Motto alle zu Herzen. Dem Beispiel der indischen Frauen folgend, halte ich erst mal Abstand, es dauert jedoch nicht lange und ich werde von unseren einheimischen Freunden in das Epizentrum der Party gezogen. Für Westler, Frauen miteingeschlossen, wird eine Ausnahme gemacht – nicht das erste Mal, dass ich das erlebe. Wir tanzen stundenlang, es regnet und die bunte Farbe läuft uns über das Gesicht. Noch nie habe ich so ausgelassen im Regen getanzt. Ich muss immer wieder innehalten und staunen. Ist das wirklich eine Religion?
Ich schaue zu Ganesha auf und muss mir unweigerlich einen an das Kreuz genagelten, an den Händen und Füßen blutenden Jesus anstelle des Elefanten vorstellen.
Eine obzöne Vorstellung! Es wäre Blasphemie unter den Augen des Heilands dermaßen ausgelassen zu feiern - vielleicht sogar eine der sieben Todsünden? Ich erinnere mich wage an meinen Religionsunterricht: War es die dritte Sünde? Wie heißt sie gleich? Luxuria - Ausschweifung und Genusssucht? Nichts anderes als dieses Fest! Um ehrlich zu sein: vor einem blutüberströmten Jesus hatte ich als Kind Angst, wie er bedrohlich über der Kanzel hing. Ich habe seinen Anblick noch nie als sehr lebensbejahend empfunden. Das Leben ist nicht immer einfach, schon gar nicht in Indien. Der Elefantengott steht für alles, nur nicht für die Sünde. Ganeshas Bauch soll gefüllt von Süßigkeiten sein, sein Reittier ist eine Maus und sein Charakter zeichnet sich durch eine besondere Gutmütigkeit aus.Es verwundert daher nicht, dass er zu einem der Lieblingsgötter der Hindus zählt.
Einige Stunden später kommen wir vollkommen durchnässt von Schweiß und Regen am Bootsanleger der Fähre zwischen Hampi-Stadt und Hampi-Island an. Hier soll der Gott im Flusswasser versenkt werden. Die Übergabe an das Wasser ermöglicht ihm im nächsten Jahr neugeboren zu werden.
Nun ist es Zeit den schweren Elefanten wieder von der Ladefläche zu heben. Ich bemerke einen Tumult in der Menge. Nach der Tradition ist es alkoholisierten Menschen nicht erlaubt die heilige Statue zu berühren, das stellt die Gläubigen vor ein Problem. So ziemlich Alle sind betrunken – da geriet die Tradition im Partytaumel wohl in Vergessenheit. Doch Indien wäre nicht Indien, wenn es keine Lösung geben würde. Alles ist möglich – sab kuch milega, eine Redewendung auf Hindi, die ich schon in der ersten Woche gelernt habe. Das Problem wird gelöst, indem die Regel einfach ignoriert und Ganesha bedrohlich schwankend, über den glitschigen Boden, dem Ufer entgegengetragen wird.
Am Ufer lässt man den Koloss zu Boden. Eine Kokosnuss wird ihm geopfert, eine Kerze wird entzündet, die Flamme als Symbol der Reinigung. Mantras werden gemurmelt, bis sich die Männerstimmer erheben und Ganeshas Name in die dunkle Nacht gerufen wird. Noch schnell ein obligatorisches Gruppen-Selfie und ab mit ihm ins Wasser. Die Männer ächzen unter der Last und die am Uferstehenden befürchten das Schlimmste. Jeder kennt die „best of Ganpati fails“ – Videos of Youtube. Nicht selten reißen größere Ganesha-Versionen die Menschen im Wasser mit in den Tod – diese werden jedoch nicht jedes Jahr wiedergeboren wie der Elefant. Unsere Träger scheinen vorsichtig genug zu sein und der Gott versinkt in den Fluten ohne menschliche „Kollateralschäden“ zu verursachen. Alle jubeln und in meinem Kopf singt Rolf Zuckowski leise: und alle deine Freunde freuen sich mit dir.
Ein Zusammenschnitt der Impressionen des Ganpati-Festivals
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